30 Stunden unterwegs für die Menschen in der Ukraine

Gedanken von Hans-Peter Meyer (hpm)

 

Um es gleich vorab zu sagen: Der folgende Text beschreibt eine Reise, die vollkommen unspektakulär war. Tödlich langweilig und ohne wirklich wichtige Ereignisse und Erkenntnisse. So war es halt und da gibt es auch nix zu beschönigen. Vor dem Hintergrund möge sich jeder überlegen, ob er diesen Text überhaupt lesen möchte. Es wird langweilig werden. Todlangweilig!

 

Aber der Reihe nach…..

 

Als Ende Februar 2022 der russische Dummbatz Putin der Meinung war, sich die Ukraine einverleiben zu müssen, da ahnte ich noch nicht, dass ich diesen öden Text hier mal schreiben würde. Es war ein Schock für alle normal denkenden Menschen, die sich in ihren schlimmsten Träumen nicht das vorstellen konnten, was seitdem geschehen ist. Auch mir ging es nicht anders.

 

Es mag ein Fünkchen Wahrheit daran sein, dass es von Seiten des Westens nicht unbedingt der Brüller war, die NATO immer weiter in Richtung Osten zu erweitern. Es mag durchaus viele Dinge geben, über die sich ein Russe (ich wähle hier bewusst die männliche Form und verzichte auf jedes Gendern) echauffieren konnte. Es gab durchaus einiges, vor dem sich DER Russe fürchten konnte und durfte. ABER: Das berechtigt IHN garantiert in keinster Weise dazu, das zu tun, was er seitdem tut. Er hat nicht das Recht, auch nur ein einziges anders denkendes Lebewesen zu verletzen oder gar zu töten. Leider tut er es in tausendfacher Form und dagegen muss man in tausendfacher Form angehen.

 

Mein Arbeitskollege Alexander Varychev (ich nenne ihn Alexander, andere sagen Sascha) stammt aus der Ukraine. Er wuchs auf in Lwiw – so nennt er es heute ausschließlich. Das ist die ukrainische Form des Namens der Stadt, die bis vor kurzem noch etwas mehr als 700.000 Einwohner hatte. Früher nannte er diese Stadt Lwow nach der russischen Sprachweise. Das meidet er heute. Alte „gute“ Deutsche sagen immer noch Lemberg. Ich habe mich mit mir selber darauf geeinigt, ab jetzt auch nur noch Lwiw zu sagen.

 

Seit 20 Jahren arbeite ich mit meinem Kollegen zusammen an der Uni Heidelberg. Kein Wort deutsch sprach er, als er damals zu uns kam. Aber er wusste, was ein Feldspat, ein Pyroxen und eine Hornblende sind. Ideale Voraussetzungen, um am Institut für Geowisssenschaften in Heidelberg eine Arbeit zu bekommen. So kam eines zum anderen und mittlerweile sind wir ein gutes und effektives Team im Bereich der Mikroanalyse. Alles war gut. Oder zumindest fast alles. Aber das möchte ich hier nicht vertiefen.

Und jetzt das! Der kleine Wladimir lässt die Ukraine überfallen und möchte sich eben diese einverleiben. Das war schon ganz schön spaßfrei. Es ist klar, dass sich das auf das Leben von normal denkenden Menschen allgemein auswirken muss und auf das Leben eines Ukrainers speziell umso mehr.

 

(Bildquelle: Internet, Der Stern)

 

Die täglichen Nachrichten im Fernsehen gingen – und gehen – unter die Haut. Zunächst dachte man, das wird nicht mehr viel kommen. Das ist bald vorbei. Der kleine Wladimir macht einen Durchmarsch und alles ist fertig. Es kam anders. Ganz anders. Und mit dem nicht erwarteten Verlauf der „Spezialaktion“ änderten sich auch die Bilder. Sie wurden schlimmer. Jeden Tag ein bissele mehr. Und jeden Tag dachte man, dass es jetzt nicht mehr schlimmer werden könne. Und jeden Tag lernen wir, dass es doch noch schlimmer geht. Und es graut mir davor, feststellen zu müssen, dass es immer noch schlimmer kommen kann.

 

(Bildquelle: Internet, RTL-News)

 

Schon früh im Ablauf des unsäglichen Geschehens in der Ukraine kam der Gedanke, dass man nicht einfach zu Hause rumsitzen kann und nichts tun. Das geht irgendwie nicht. Was also tun?

Alexander (Sascha) hatte schon seine Verbindungen in die Ukraine aktiviert. Er hatte und hat noch viele alte Freunde in seiner ehemaligen Heimat. Von ihnen wurde er mit direkten Informationen versorgt. Man erkannte, dass auch die Menschen in der westlichen Ukraine, bei denen der Krieg noch gar nicht angekommen war, täglich aktiv waren und große Hilfsdienste leisteten für die Regionen, die schon voll und ganz im Kriegsgeschehen involviert waren. In Lwiw entwickelte sich eine umfangreiche Logistik zur Unterstützung der Regionen, in denen es täglich und stündlich knallte.

 

Weitab von der Ukraine kontaktierte mittlerweile eine Reporterin von der Heppenheimer Lokalpresse die Familie von Alexander. Sie wollte wissen, wie es sich denn für die Menschen so anfühlt, die Geschehnisse in der Ferne verfolgen zu müssen. Der daraus resultierende Zeitungsbericht steht hier:

 

 

Danach kam dann das Eine zum Anderen. Alexander hatte damit angefangen, seine erweiterte Familie in der Ukraine finanziell zu unterstützen. Auch ich hatte meinen Beitrag dazu geleistet. Und dann kam, was kommen sollte. Wir überlegten uns, auch anderen Leuten zu helfen und dafür auch bei Bekannten nachzufragen.

 

Alexander fragte bei seinen Bekannten in der Ukraine an, was sie konkret benötigen. Schnell kam die Antwort mit einer langen Liste. Wir konzentrierten unsere Anstrengungen auf medizinisches Material, vor allem für die Versorgung von Schwerverletzten. Außerdem auf Outdoor-Zubehör, dass man braucht, wenn man das Dach über dem Kopf verloren hat.

 

Die Institutsleitung wurde gefragt und war sofort bereit, einen Aufruf im Institut per Mail zu verteilen. Zwei Tage später ging es dann los. Wir waren mit der Reaktion sehr zufrieden. Es kamen Sachspenden und schnell auch Geldspenden, denn wir wollten die Dinge selber einkaufen.

Sehr schnell kam dann auch der AGAPE-eV auf uns zu. Dieser Verein mit seinem Vorsitzenden Martin Maier, einem weiteren Arbeitskollegen von der Uni hat Projekte in Bangladesh und baut dort unter anderem Brunnen. Der Verein stellte uns nicht nur Geld in Aussicht, sondern vor allem auch die Logistik des Vereins in Bezug auf die Finanzen. So hatten wir sehr schnell die Möglichkeit, Spenden auch mit einer Spendenquittung beantworten zu können. Danke an Charlotte!

 

Das stellte sich als großer Vorteil heraus, denn mit der Aussicht auf eine Spendenquittung sind die Spenden in der Regel für den normalen Steuerzahler etwas einfacher zu verkraften. Auch unser langjähriger Partner in Sachen Kooperationsforschung aus Augsburg überließ uns daher neben vielen Sachspenden der Belegschaft auch mehrere größere Geldbeträge, die sehr sehr hilfreich waren. Auch innerhalb des Instituts erreichten uns Spenden von 20 Euro (Studierende) bis hin zu einer maximalen Summe von 1500 Euro. Wir waren überwältigt.

 

Jetzt hieß es, das Geld vernünftig zu verwalten und auch die Dinge zu besorgen, die wirklich angefordert worden waren. Und hier begannen dann die Probleme. Bis vor wenigen Tagen wussten wir noch nicht, was ein „Tourniquet“ ist. Jetzt wissen wir es. Und wir wissen auch, dass man es aktuell in Deutschland fast nicht kaufen kann. Egal, wo wir nachfragten, überall war alles ausverkauft. Es schien noch andere Menschen zu geben, die so etwas brauchen. Auch „Israeli bandages“ sind aktuell in Deutschland Mangelware.

 

Händler, die medizinisches Zubehör verkaufen, sind völlig überlastet. Auf ihren Internetportalen steht nur zu lesen, dass sie nicht liefern können oder dass es zu Lieferverzögerungen kommen kann. Die meisten Artikel sind aber ausverkauft.

Auch beim größten Versandhandel der Welt, der mit „A“ anfängt und mit „ON“ aufhört, war überall zu lesen, dass die Dinge derzeit nicht lieferbar sind. Oder Lieferzeiten von mehr als 4 Wochen. Und so lange wollten wir nun doch nicht warten.

 

Es gab Liefermöglichkeiten aus China. Da wäre einiges möglich gewesen. Wir machten davon Gebrauch, aber sicherheitshalber nur in sehr geringem Umfang. Schließlich fanden wir dann doch noch Quellen, die relativ schnell liefern konnten. Das war dann aber mehr oder weniger ein Glückstreffer. Nachdem wir dort bestellt hatten, war auch da bald einiges ausverkauft.

 

Zwischendrin hatten wir auch schon von Heidelberg aus eine andere Bezugsquelle aufgetan. Ein Jugendfreund von Alexander, mit dem er täglich in Kontakt stand und weiterhin steht, hatte Bekannte in Polen, unweit der Grenze zur Ukraine. Und er machte regelmäßig Kurierfahrten mit Hilfsgütern über die Grenze hinweg. Marek war ständiger Ansprechpartner für Alexander. Mareks Verbindungen zu einem Krankenhaus in Lwiw machten dann auch deutlich, was wir besorgen sollten und dann auch wollten.

 

Über Mareks Kontakte in Polen haben wir dann medizinische Hilfsgüter in Polen bestellt. Das ging absolut reibungslos. Wir hatten unser Auto in Heidelberg noch gar nicht voll, da war die erste Lieferung mit Verbandsmaterialien schon längst über die Grenze nach Lwiw geliefert worden.

 

Bild: Andrej hat die erste Lieferung schon lange vor unserer Abfahrt bekommen. Wir haben in Polen bestellt und direkt an ihn liefern lassen. Klappt hervorragend!

 

 

 

Ausgebremst wurden wir in Deutschland aber nach wie vor durch lange Lieferzeiten oder durch ausverkaufte Händler. Irgendwann kam dann aber doch der Entschluss, dass man jetzt doch bald fahren solle. Das Auto war mittlerweile aus bis zum Rand hin voll.

 

Mein VW-Mulitvan hat 7 Sitze. Davon bauten wir einen Sitz aus. Wir hatten somit die Möglichkeit, auf dem Rückweg bis zu 4 andere Personen mitzunehmen. Es wurden noch Decken für die Rückreise und Corona-Tests eingepackt und dann ging es so ganz allmählich los. Der Tag vor der Abreise war noch intensiv, denn auch an unserem Arbeitsplatz an der Uni musste noch einiges erledigt werden.

 

Aber dann ging es endlich los. Es war Dienstag, der 12.4.2022, als ich mich gegen kurz vor 23 Uhr im südlichsten Ort von Rheinland-Pfalz von meiner Frau verabschiedete. Sie hatte – wie üblich – für mich alles gepackt. Wie üblich war es viel zu viel, was in meiner Reisetasche landete. Aber das ist okay so. Man weiß ja nie, wie lange man weg ist.

 

Dass es letztlich nur 30 Stunden waren, bis wir wieder gesund – aber todmüde – zuhause ankommen sollten, wussten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wie bereits zu Anfang erwähnt: Es war eine blitzschnelle, aber total ereignislose Reise. Eigentlich viel viel zu langweilig, um darüber einen Bericht zu schreiben. Vor diesem Hintergrund möchte ich die werten Lesenden auch an dieser Stelle des Berichtes noch einmal darauf hinweisen, dass es sich eigentlich gar nicht lohnt, jetzt noch weiter zu lesen.

 

Um kurz vor Mitternacht kam ich dann in Heppenheim an. Dort wohnt mein Co-Pilot. Ab jetzt war das Team dann vollständig. Unser Reiseziel war klar: Rzeszow (Sprich: Scherschoff) in Polen. Das ist einer der Dreh- und Angelpunkte bei Flüchtenden und bei Hilfstransporten. Wir wollten bewusst nicht bis direkt an die Grenze fahren. Dort muss es wohl eher chaotisch gewesen sein. Wir hatten unsere bekannten Partner und wussten, wo wir abliefern sollten.

 

Es ging zunächst nach Norden. Vorbei an Frankfurt und dann noch weiter nordwärts. Erst bei Kirchheim wechselten wir die Fahrtrichtung nach Osten. Dann kamen wir in die östlichen Bundesländer. Wir waren auf der A4, die von Paris bis nach Kiew führt. Wir würden ab jetzt diese Straße auf unserer 1300 km langen Hinfahrt nicht mehr verlassen. Für jemand, der selten in diese Gegend kommt, war es ein mehr als angenehmes Gefühl, auf dieser Autobahn fahren zu dürfen. Phantastisch ausgebaut war die Strecke, in vielen Bereichen dreispurig. Und es war fast kein Verkehr zu diesem Zeitpunkt. Der Tempomat wurde auf 120 km/h eingestellt und das Fahrzeug rollte und rollte. Absolut stressfrei.

 

Auf der Straße viele Fahrzeuge von großen Logistik-Unternehmen, die wir andauernd überholten. Alles Fahrzeuge, die voll mit Paketen waren. Sicherlich auch das eine oder andere Paket, dass wir noch bestellt hatten und das nicht rechtzeitig angekommen war. Aber das können wir – wie wir mittlerweile wissen – auch anders lösen.

 

Die Zeit im Auto verging wie im Flug. Irgendwie haben wir es gar nicht so richtig gemerkt, aber irgendwann dann dämmerte es am östlichen Horizont. Wir hatten nicht einmal gehalten. Dresden hatten wir schon hinter uns gelassen. Die Grenze zu Polen rückte näher. Ein letzter langer Tunnel kurz vor Polen. Und als wir aus diesem Tunnel wieder herausfuhren, hatte der Tag begonnen.

 

Vor uns lag die Grenze, die wir überquerten, ohne es eigentlich zu merken. Das Auto rollte einfach über die Grenze hinweg. Sehr ungewöhnlich für mich. Vor gut 15 Jahren bin ich diese Strecke regelmäßig gefahren. Immer mit Hilfstransporten in Richtung Weissrussland (heute Belaruss). Damals für die Kinder, die unter der Reaktor-Katastrophe von Tschernobyl zu leiden hatten. Damals hatten wir Konvois mit bis zu 3000 Paketen auf die Beine gestellt und ich durfte diese Fahrten verantwortlich organisieren. Mit Grausen erinnere mich an die stundenlangen Kontrollen an der Grenze zu Polen. Um Klassen schlimmer war es dann noch an der Grenze zu Weissrussland. Und immer musste man die eine oder andere Schachtel Zigaretten verteilen, damit es irgendwann doch etwas schneller ging. Das waren damals noch Abenteuer. Jede Fahrt war anders. Jede Fahrt ein Abenteuer.

 

Und heute? Das Auto rollt über die Grenze und ruckzuck sind wir in Polen. Man ey! Ist das langweilig. Einfach so drüber rollen. Keiner interessiert sich dafür, was in unserem Auto drin ist. Und zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass es genauso langweilig bleiben würde.

 

Nach einem kurzen Tankstopp in Polen – dort kostete der Diesel knapp 30 Cent weniger als bei uns – war es an Alexander, weiter zu fahren. Die Straßen in Polen waren ebenfalls ganz phantastisch. Davon träumt der gebeutelte Wahlpfälzer in seiner Heimat nur. Die Strecke bis nach Wrozlaw (früher Breslau) war mir von den früheren Konvois auch noch als Buckelpiste bekannt, wo man in regelmäßigen Abständen alle paar Sekunden über eine Unebenheit auf der Straße fahren musste. An schlafen war da damals nicht zu denken. Und heute? Alles tip-top! Glatt wie ein Kinderpopo, diese Autobahn A4 in Polen.

 

Vielleicht ist das auch einer der Gründe dafür, dass wir einfach immer weiter fuhren. Nahrungsmitteltechnische Grundversorgung in fester und flüssiger Form war ja vorhanden. Die hatten wir von Beginn an dabei. Also langten wir beide ab und zu mal in unsere Vorräte und rollten weiter.

 

Ein Blick nach Süden zeigte uns die in weiter Ferne liegenden Gipfel des Riesengebirges. Dort lag noch Schnee. Der Blick ging weit. Es war ein phantastischer Sonnentag. Die Tatsache, dass die Sonne uns lange Zeit von vorne ins Auto schien, war das Einzige, was manchmal etwas nervig war.

 

Im Riesengebirge war ich vor etwa 15 Jahren einmal zur Probennahme. Dort gab es Orbiculitgesteine, die bereits seit mehr als 100 Jahren bekannt waren. In meiner Dissertation im letzten Jahrtausend hatte ich solche Gesteine untersucht. Gerne hätte ich dorthin einen Abstecher gemacht. Aber das stand heute leider nicht auf dem Plan. Außerdem musste man ja eh davon ausgehen, dass die Steine noch unter einer Schneedecke versteckt waren.

 

Also fuhren wir weiter. Dreispurig! Immer mit 120 km/h. Vorbei an Katovice und dann später an Krakau. Schon gefühlte 30 km vor Katovice zeigten die Abfahrten, dass es dorthin ging. Und auch 30 km hinter der Stadt stand immer noch Katovice zu lesen. Irgendwie kam man von dieser Stadt gar nicht weg. Einen richtigen Berufsverkehr haben wir irgendwie nicht erlebt. Es war einiges los auf der Straße, aber bis auf einen etwas 10-minütigen Stau ging es immer flott voran.

 

Interessant war das, was man sonst noch so sah. Wir waren durchaus nicht der einzige Hilfstransport, der in Richtung Osten fuhr. Wir überholten durchaus auch andere vollgepackte Fahrzeuge – nicht nur aus Deutschland – und wurden auch von anderen überholt.

Am eindrücklichsten in Erinnerung blieben mehrere Hilfstransporte mit vielen Feuerwehr-Fahrzeugen. Diese wurden von polnischer Polizei begleitet. Bis zu 15 rote Fahrzeuge hintereinander. Ein Konvoi aus dem Ortenaukreis und einer von der Spree blieben mir dabei besonders in Erinnerung. Wie wir später erfahren sollten, waren das keine Feuerwehrleute, die bei Aufräumarbeiten („Butcha“ lag erst wenige Tage zurück) helfen wollten. Es waren Fahrzeuge, die von deutschen Feuerwehren gesammelt und gespendet worden waren. Sie sollten an die Menschen in der Ukraine übergeben werden, um dort ihre Dienste zu leisten.

 

Die Sonne war mittlerweile weiter in Richtung Süden gewandert, während unsere Reise immer weiter in Richtung Osten ging. Unser Ziel kam näher. Der Zielpunkt wurde in das Navi eingegeben. Es waren nur noch knappe 20 km bis zum Ziel. Das Navi sagte uns, dass das noch knapp eine Stunde dauern würde. Blödsinn! Da stimmt was nicht. Wir waren uns einig, dass das viel schneller gehen müsse.

 

Wir sollten uns täuschen. Zäh wie Kaugummi zog sind die Strecke in der Stadt Rzeszow. Ampeln, die für geologische Zeiträume auf rot standen, um dann nur eine kurze Grünphase zu zeigen. Autos ohne Ende. Übrigens nicht nur polnische. Auch zahlreiche ukrainische Fahrzeuge konnten wir sehen. Die waren uns schon während der Fahrt immer wieder aufgefallen. Alle in Richtung Osten.

 

Es war der Zeitpunkt, an dem der kleine Wowa (= Wladimir) mit seinem Militär bei Kiew den Rückzug begonnen hatte. In den Nachrichten war immer wieder zu hören, dass viele Ukrainer schon wieder zurückkehren. Täglich um die 25.000. Einige davon haben wir gesehen.

 

Das Ziel kam immer näher. Wir kamen wieder aus der Stadt heraus in eine eher ländliche Gegend. Einzelne Häuser mit dreistelligen Nummern standen dort. Das Navi sagte, wir seien da. Wir waren aber nicht da. Der Grund war ein völlig wirres System von Hausnummern, das keinerlei nachvollziehbares Ordnungssystem erkennen konnte. Es hätte jedes einzelne Haus sein können. Wir irrten durch die Gegend. Nach einer gefühlten halben Stunde glaubten wir, das wir vielleicht vor dem richtigen Gebäude stehen könnten. Wir fuhren in einen Innenhof, die im einige Transporter standen. Darauf waren teileweise Aufkleber zu sehen, die so etwas wie „Hilfstransport Ukraine“ darstellen hätten können. Sah ja so schlecht nicht aus.

 

Kein Mensch zu sehen. Weit und breit. Das sah alles ziemlich mysteriös aus. Wir schauten uns an und wussten nicht, was wir davon halten sollten. Wir gingen auf ein Wohnhaus zu, dass auf dem Gelände stand. Es dauerte einige Zeit, bis jemand nach dem Klingeln aus dem Haus kam.

Es war ein Pole mittleren Alters. Er wohnte wohl hier. Wir erklärten ihm unser Anliegen. Er wusste Bescheid. Er zeigte und einen LKW. Auf den sollten wir alle unsere Sachen laden. Wir schauten uns wieder an. Uns war nicht so richtig geheuer. Der Freund von Alexander war in Lwiw. Den konnten wir nicht fragen.

Nachdem wir mit einem schlechten Gefühl alle Sachen auf den  LKW – der kein Nummernschild hatte – geladen hatten, fragten wir dann, wie er denn mit diesem Fahrzeug nach Lwiw fahren wolle. Klar war zu erkennen, dass dieses Fahrzeug nicht fahrbereit war.

Er machte uns klar, dass er vor der Fahrt am nächsten Tag die Sachen alles umladen werde auf ein offenes Fahrzeug ohne Verdeck. Den defekten LKW benutze er nur deshalb als Zwischenlager, damit die Sachen nicht nass werden. Uns war mulmig.

 

Da war es noch voll- unser Fahrzeug

 

 

 

 

Und dann war in 5 Minuten alles auf den LKW verladen.

 

 

Um es vorweg zu nehmen: Alle unsere Bedenken haben sich 2 Tage später in Wohlgefallen aufgelöst. Unsere Dinge sind ausnahmslos in Lwiw gelandet, von wo aus Alexanders Jugendfreund dann auch Fotos geschickt hat. Vor allem von zwei ganz kleinen Paketen, in denen wir ganz gezielt einige wertvollere Dinge platziert hatten, die für medizinische Notfälle gedacht waren.

 

Der Mann bat uns dann noch in sein Haus auf einen Kaffee. Es war eigentlich geplant, dass wir hier übernachten und dann am nächsten Tag ausgeruht wieder nach Hause fahren. Aber der nächste Tag wäre der Gründonnerstag gewesen. Und an einem solchen Tag begibt man sich in Deutschland nicht freiwillig auf die Autobahn. Da es uns einigermaßen gut ging und wir nicht allzu müde waren, beschlossen wir, die Übernachtungsmöglichkeit auszuschlagen und uns direkt wieder auf den Heimweg zu machen.

 

Das war nun eigentlich schon alles. 14 Stunden Fahrt bis kurz vor die ukrainische Grenze und dann in 5 Minuten alles in das andere Fahrzeug laden. Und dann nach einem (nicht besonders guten) Kaffee wieder auf die Heimreise gehen.

 

Unspektakulärer geht es nicht! Aber was haben wir erwartet? Übergabe mit großem Tamtam und Musikkapelle? Ein Blumenstrauß als Dankeschön? Große Umarmungen für unsere Hilfe?

 

 

 

Eine ganze Kiste voller Tourniques ist in Lwiw angekommen.

 

 

Blödsinn! Es war genauso, wie es sein sollte. Wir waren eines von vielen vielen Fahrzeugen, die eine lange Reise gemacht haben und Hilfsgüter gebracht haben. Wir hoffen, dass wir Dinge gebracht haben, die die Menschen auch wirklich gebrauchen können und die hilfreich sind, wenn es darum geht, die Leiden zu lindern, die der Aggressor Wladimir P. den Menschen in dem Land zufügt. Ob uns das gelungen ist, werden wir nicht wirklich in Erfahrung bringen, aber die Reaktion, die wir 2 Tage später erhalten haben, macht uns zuversichtlich, dass es so sein könnte.

 

Auch unsere „Israeli badages“ und „Decompression needles“ sind angekommen.

 

 

Das große Lager, dass wir in Rzeszow erwartet hatten, gab es nicht. Wie wir später erfahren sollten, werden viele Dinge dezentral aus Polen nach Lwiw gebracht, um dort dann zentral gesammelt und sortiert zu werden. Vor diesem Hintergrund war es dann auch sehr hilfreich, dass wir die Pakete ukrainisch beschriftet hatten.

 

Und jetzt? Der erste Teil unserer unspektakulären Reise ist vorbei. Jetzt kommt Teil 2 und der ist noch langweiliger.

 

Wir hatten uns vorgenommen, flüchtende Menschen mitzunehmen. Bis zu 4 Plätze hatten wir ja frei. Die einzige Stelle, an der wir in dieser polnischen Stadt flüchtende Leute erwarten konnten, war der Hauptbahnhof. Aus diesem Bahnhof konnte man in den vergangenen Wochen häufiger Bilder in Nachrichtensendungen sehen. Das war schon beeindruckend.

 

Also machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof. Das gleiche zähe Fahren wie vorher. Für wenige Kilometer brauchen wir sehr lange Zeit. Einen Parkplatz zu finden, darf man schon als Lottogewinn betrachten. Es war nur ein kleiner Lottogewinn, den wir hatten, denn der Parkplatz war einen guten Kilometer vom Bahnhof entfernt. In Ermangelung von polnischer Währung platzierten wir anstatt eines Parktickets einfach eine ukrainische Flagge vorne in unser deutsches Auto und hofften, dass uns niemand dort abschleppt. Man weiß ja nie!

 

 

Vor dem Bahnhof von Rzeszow

 

 

 

Im Bahnhof angekommen war dann erstmal alles anders als erwartet. Die Bahnhofshalle dieser Stadt mit 200.000 Einwohnern war dann doch eher klein. Um nicht zu sagen klitzeklein. Nur wenige Leute hielten sich hier auf. Es waren vielleicht 20. Und von denen wollten durchaus nicht alle in unsere Richtung. Was auffiel, war etwa ein Dutzend Jugendliche mit gelben Warn-Westen. „Volunteers“ waren das. Die meisten waren wohl aus der Ukraine. Sie machten hier am Bahnhof freiwillig Dienst, um anderen Menschen auf die Reise zu schicken. Diese „Freiwilligen“ waren allerdings eher gelangweilt. Sich unterhielten sich intensiv untereinander, aber hatten nur wenig mit den Reisenden zu tun.

 

Alexander sprach eine junge ukrainische Dame mit gelber Weste an und erklärte ihr unser Anliegen bzw. unser Angebot. Es gab eine Familie, die mitgekonnt hätte, aber die hatten sich wohl gerade mit Fahrkarten versorgt und wollten auch nicht in unsere Richtung. Die junge Dame sagte uns, wir sollten in einer halben Stunde noch einmal kommen. Vielleicht wäre dann jemand da.

Das taten wir dann auch. Aber auch nach unserem Spaziergang durch die Stadt fand sich niemand, der den Bahnhof in Richtung eines westlichen Landes verlassen wollte. Eine junge Wissenschaftlerin aus Kiew wäre zwar mit uns mitgefahren, sie wollte aber erst noch zwei Tage warten, dass ihre Schwester noch in Kiew sei. Solange wollten wir nun doch nicht warten.

 

Da standen wir nun. Mit leerem Auto, aber ohne potenzielle Mitfahrer. Ist das ein schlechtes Zeichen? Nein – eigentlich doch ein gutes Zeichen. Denn es stellte sich der Eindruck ein, dass die Anzahl der Rückreisenden doch größer war als die Anzahl der aktuell Ausreisenden.

Das sei vor 2 Wochen noch ganz anders gewesen, versicherte und die junge ukrainische Frau, von der Alexander noch erfuhr, dass ihre Mutter die gleiche Schule in Lwiw besucht habe wie er. Vor zwei Wochen seien es noch täglich 40 Busse mit Flüchtenden gewesen, die in der Stadt angekommen seien. Das muss dann doch eine große Herausforderung an diesem kleinen Bahnhof gewesen sein.

Wir waren einfach zu falschen Zeit an der falschen Stelle. Unser Auto sollte auf der Rückreise leer bleiben. Auch gut! Nur eine Woche später hat man dann wieder Bilder gesehen, auf denen Flüchtlinge in dieser Stadt zu sehen waren. Wladimir hat wieder losgelegt. Diesmal im Osten und Süden der Ukraine. Und das hat dann wieder dafür gesorgt, dass weitere Menschen auf der Flucht sind.

 

Wir jedenfalls fuhren leer los. Es war so gegen 16 Uhr, als wir uns wieder zu unserem Auto begaben, um uns dann in den Feierabendverkehr von Rzeszow zu stellen. Aber auch das war dann schnell vorbei.

 

Nachdem wir die Außenbezirke der Stadt erreicht hatten, war es wieder da. Das Gefühl, auf einer Autobahn fahren zu können, die das Auto wie von allein trägt. Und wieder war die Sonne das Einzige, was uns nerven konnte. Denn sie war wieder vorne vor uns. Diesmal von Westen. Sie leitete uns in die Richtung, in die wir jetzt fuhren.

 

Und wieder fuhren wir fast pausenlos. Der Fahrer wurde gelegentlich gewechselt, aber ansonsten waren wieder 120 km/h eingestellt. Schon deutlich vor Mitternacht war dann der Ausflug nach Polen für uns wieder vorbei. Die Autobahn war leer. Manchmal waren wir ganz allein auf der Autobahn. Vor uns und hinter uns war niemand zu sehen.

Anders war es auf der Gegenspur. Dort war immer ein reger Verkehr. Schon hinter Breslau hatte es angefangen. Der Verkehr auf der Gegenfahrbahn wurde immer dichter. 12 km lang war ein Stau, an dem wir vorbei fuhren. Und das war nicht der einzige Stau, den wir hier erlebten. Es war schon gespenstisch. Unsere Spur total leer und auf der Gegenfahrbahn ein nicht enden wollender dichter Verkehr.

Es war der Tag vor dem Gründonnerstag. Viele Polen haben sich auf den Rückweg in die Heimat gemacht. Und die sind uns alle begegnet. Wir konnten sehr dankbar sein, dass wir unsere Reise nicht 24 Stunden später gemacht haben, denn dann wären wir jetzt Teil dieses riesigen Staus in Richtung Polen gewesen.

Auch nachdem wir bei Görlitz wieder auf heimatliche Erde gekommen waren, ließ der Verkehr nicht nach. Die Schlange wollte einfach nicht enden. Selbst bis hinter Dresden war ein dichter Verkehr zu sehen, obwohl es mittlerweile auf Mitternacht zuging.

 

Wir rollten und rollten und rollten. Und allmählich stellte sich dann auch die Müdigkeit ein. Und eine gewisse Zufriedenheit. Und so ging es weiter, bis wir dann gegen 3.30 Uhr in Heppenheim und schließlich gegen 5 Uhr in der Südpfalz ankamen.

 

Eine Reise ging zu Ende, die völlig unspektakulär war. Und wer bis hierher gelesen hat, ist eigentlich selbst schuld, denn es gab ja nicht wirklich etwas Wichtiges zu berichten.

 

Wir hoffen, dass das, was wir gemacht haben, letztlich doch nicht ganz unwichtig war. Aber ob das stimmt, werden wir nie erfahren.

 

Und jetzt? Jetzt sind wir wieder zuhause. Wir gehen wieder unserer Arbeit nach und wir leben in Frieden. Uns geht es gut und wir haben alles, was wir brauchen. Uns könnte es eigentlich nicht besser gehen.

Und in der Ukraine? Da sterben Menschen. Jeden Tag, jede Stunde, vielleicht sogar jede Minute. Sie verlieren ihre Familien, ihr Hab und Gut. Und wir können wenig tun, um daran etwas zu ändern.

 

Nichts auf der Welt kann rechtfertigen, ein Land so zu überfallen und die Menschen in diesem Land zu töten. Man kann kein Verständnis für das aufbringen, was der kleine Wladimir an brutalen Dingen dort veranstalten lässt. Hoffentlich wird er dafür irgendwann zur Rechenschaft gezogen.

 

Alexanders Freund Marek mit einem kleinen, aber wertvollen Paket.

 

 

Wir werden weiter machen. Von den vielen Geldern, die man uns zur Verfügung gestellt hat, haben wir noch einiges. Das ist gut so. Leider wird es so sein, dass man weitere Hilfsgüter brauchen wird. Und dann haben wir die Möglichkeit, diese Mittel noch sinnvoll auszugeben und an Marek und seine ukrainischen Freunde zu schicken. Wir warten auf konkrete Anfragen und werden dann dafür Sorge tragen, dass diese Anfragen bedient werden.

 

Wenn es notwendig ist, dann fahren wir wieder los. Vielleicht dauert die Reise dann etwas länger als 30 Stunden. Und auch dann hoffen wir, dass wir etwas tun werden, was den notleidenden Menschen hilft. Unsere Kontoverbindung bei der AGAPE wird weiterhin bestehen bleiben.

 

Hiermit beende ich – Hans-Peter Meyer – meine aktuellen Gedankensplitter zu unserer Reise nach Rzeszow und entschuldige mich ein letztes Mal dafür, dass ich eigentlich gar nichts Wichtiges und Interessantes zu berichten hatte.

 

Hans-Peter Meyer

Geschrieben in Berg (Pfalz) am 26.4.2022

 

Wir machen weiter:

Für Sachspenden: bitte vorher Kontakt mit dem Koordinator Hans-Peter Meyer aufnehmen: +49 160-9954 2881 oder hans-peter.meyer@geow.uni-heidelberg.de.

 

Geldspenden mit dem Verwendungszweck „Ukraine“ werden von der AGAPE entgegengenommen und ohne Abzüge weitergegeben. Spendenquittungen können ausgestellt werden, wenn Sie eine Adresse angeben.

 

BANKVERBINDUNG

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